Kirchengemeinden Happurg und Kainsbach

Evangelisch-Lutherische Kirche

 Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist.

Regenbogen

 

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Entzünden einer Kerze

 

Lied Evang. Gesangbuch 483 – „Herr, bleibe bei uns“

Herr, bleibe bei uns;
denn es will Abend werden,
und der Tag hat sich geneiget.         

(Lukas 24,29)

Eröffnung allein oder im Wechsel

Herr, bleibe bei uns,

                denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneiget.

Gott, gedenke mein nach deiner Gnade.

                Herr, erhöre mich mit deiner treuen Hilfe.

Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste.

                wie im Anfang so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.

Halleluja.

Gebet

Nun sich der Tag geendet, mein Herz sich zu dir wendet und danket inniglich: Dein holdes Angesichte zum Segen auf mich richte, erleuchte und entzünde mich!

Ich schließe mich aufs Neue in deine Vatertreue und Schutz und Herze ein; die fleischlichen Geschäfte und alle finstren Kräfte vertreibe durch dein Nahesein!
Amen.

(Gerhard Tersteegen)

 

Lesung: Römer 12,17-21

 

Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden. Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es steht geschrieben: »Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr.« Vielmehr, »wenn deinen Feind hungert, so gib ihm zu essen; dürstet ihn, so gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln«. Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.

Predigt

Liebe Gemeinde,

es ist eine klare Ansage, die der Apostel Paulus den Lesern des Römerbriefes mit auf den Weg gibt: „Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

Ob das so einfach gelingt? Ich habe meine Zweifel, wenn ich an den Polizisten denke, der dazu folgenden kleinen Text geschrieben hat:

„Du siehst ihn auf der Bank liegen. Er hat sich vollgekotzt. Du merkst, dass er dich nicht richtig wahrnehmen kann. Er stöhnt und beschimpft dich ‚Du Bullensau‘. Du nimmst ihn hoch, weil es zu kalt ist; denkst, er erfriert. Er nennt dich einen ‚Drecksack‘ und ‚Schweinehund‘. Du passt auf, dass er sich den Kopf nicht anschlägt. Die Kollegin fährt ganz vorsichtig. Du hast ihn angeschnallt, damit er nicht von der Bank rutscht. Du stützt ihn, damit er nicht fällt. Er tritt, schlägt und spuckt nach dir... Mittlerweile riecht er nach Urin. Seine Hose wechselt die Farbe. Du hilfst ihm, damit er sich beim Hinlegen nicht verletzt. Seine Frau schreit am Telefon: ‚Behaltet das Schwein‘. Du notierst alles, was er dabei hat, damit nichts verloren geht. Er schläft. Du schaust alle Stunde nach ihm. Er schnarcht. Er geht am nächsten Morgen heim. Du erhältst keinen Dank.“

(Martin Ulbrich, Spurensuche, 25)

Vor dem Polizisten habe ich Respekt. Stets hilfsbereit und zugewandt kümmerte er sich um den Betrunkenen. Was für eine Mühe muss es ihm gekostet haben, stets ruhig zu bleiben?! All diese Beschimpfungen und den Gestank über sich ergehen zu lassen, den Ärger hinunterzuschlucken und dann auch noch den Frust der Frau zu ertragen, würde jeden an seine Belastungsgrenze bringen. Da sieht man, was für eine Anstrengung, was für eine Überwindung das ist, stets mit Gutem zu reagieren.

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

Das ist nicht einfach. Aber es kann gelingen, wie wir gesehen haben. Doch großen Dank dafür darf man nicht gleich erwarten. Die Früchte, die man davon erntet, sind andere. Es entlastet das eigene Gewissen, wenn man sich nicht in den Strudel von Ärger und Wut hineinziehen lässt. Und es macht die Welt, die oft so rau ist, menschlicher, wenn nicht alles gleich mit barer Münze heimgezahlt wird.

Böses mit Gutem überwinden, das kann gelingen – jedoch nicht in jedem Fall. Schließlich kann es auch weniger vorteilhaft sein, alles mit sich machen zu lassen. Darüber dachte vor langer Zeit schon der antike Philosoph Plutarch nach und schrieb:

„dass man die, die uns schamlos und rücksichtslos belästigen, abweisen darf durch Rücksichtslosigkeit, wird von allen, die Verstand haben, als gut und richtig geschehen [beurteilt]“.

Grundsätzlich teilt der Philosoph die Meinung vom Paulus: Böses sollte man nicht mit Bösem vergelten. Doch anders als Paulus sieht Plutarch Ausnahmen, wenn diese friedfertige Grundhaltung rücksichtslos ausgenutzt wird. Rücksichtsloses mit barer Münze heimzahlen. Das kann auch mal genugtuend sein, wenn der andere es selbst hautnah erfährt, wie rücksichtslos er ist. Aber ist das gut? Spornt es den rücksichtslosen Umgang nicht nur noch weiter an? Geht es nicht anders?

Schüchterne Kinder im Kindergarten oder in der Schule haben es nicht leicht, wenn sie alles mit sich machen lassen. Die einfache Aufforderung: „Na, dann wehr dich doch mal!“, hilft ihnen wenig weiter. Stattdessen sollten sie Selbstbewusstsein lernen. Beginnen tut das bereits bei der Körperhaltung. Wichtig ist auch die Art, wie wortgewandt und schlagfertig sie mit den Hänselein umgehen. Selbstbewusst auftreten und Grenzen setzen, das kann respektvoll gelingen.

Paulus ermuntert, auf Gutes bedacht zu sein gegenüber jedermann. Er fügt aber noch an:

„Ist’s möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“

Paulus ist kein Idealist, der die Bodenhaftung verloren hat. Er weiß um Situationen, wo sein Anliegen nur schwer gelingen kann. Er scheint zu ahnen, welche Kraft und Dynamik in Momenten steckt wo Ärger, Wut, Zorn und Hass überhandnehmen, wo jeder noch so große Wille für Frieden scheitert. Wir können uns glücklich schätzen, wenn wir selbst eine solche Lage noch nicht durchlebt haben. Aber es gibt solche Momente, wo friedfertige Menschen sich nicht mehr aus dem Strudel solcher Gefühlswelten retten können.

Besonders anschaulich wird das vor allem an Schillers Drama Wilhelm Tell. Die Figur des Wilhelm Tells mag für das Schauspiel erfunden sein, aber im Großen und Ganzen greift es zurück auf eine historische Situation des 14. Jahrhunderts, in der die Schweiz um ihre Unabhängigkeit kämpfen musste. Weil das Schweizer Landvolk dabei von Seiten der Habsburger erhebliche Unterdrückung erfuhr, schlossen sich die drei schweizer Kantone zusammen, um sich gegen die Tyrannei zu wehren. Im ersten Teil des Dramas geht es um diese Situation. Wilhelm Tell, der als friedfertiger Mensch sowie liebevoller Vater und Ehemann dargestellt wird, gerät rein zufällig in die Auseinandersetzung. Er hatte vergessen, dem Hut des kaiserlichen Landvogts zu grüßen. Der Landvogt hatte den Hut aufstellen lassen, um die Unterwürfigkeit des Volkes zu prüfen. Da Wilhelm Tell dies nun nicht getan hatte, wird er festgenommen. Dabei trifft ihn die volle Wucht der Tyrannei des Landvogts. Tell kann sich schließlich befreien und erschießt den Landvogt. Tells Handeln löst schlussendlich sogar einen ganzen Volksaufstand aus, der zur Vertreibung der Machthaber führt.

Eindrücklich führt dieses Drama vor Augen, wie radikal äußere Umstände einen friedfertigen Menschen verwandeln können, welche Dynamik sie entfalten können. Wilhelm Tell selbst sagt dazu:

„Ich lebte still und harmlos. Das Geschoss war auf des Waldes Tiere nur gerichtet. Meine Gedanken waren rein von Mord... Du hast aus meinem Frieden mich herausgeschreckt.“

Er ist zum Mörder geworden, obwohl er eigentlich ein friedfertiger Mensch war. Die Tyrannei des Landvogts hatte ihn dazu getrieben. Aus dem Strudel des Hasses konnte er sich nicht mehr reißen. So vergalt er Böses mit Bösem. Und tief drinnen im Herzen, da scheint bei Tell auch etwas zerbrochen zu sein. „Meine Gedanken waren rein von Mord“. Am Ende waren sie es nicht mehr.

Trotzdem mündet das Drama schließlich in ein gewisses Happyend. Der von Tell ausgelöste Volksaufstand, der das schweizer Landvolk von der Tyrannei und den Machthabern befreite, führte das Drama dann doch noch zum positiven Ende. Die Dynamik dieses Dramas ist also ambivalent zu sehen. Nicht ohne Grund haben die Nazis Schillers Drama verboten. Offenbar war ihnen die Verwandlung, die Tell im Laufe der Handlung durchlebte, die Dynamik, die ein Einzelner hier entfachte, nicht ganz geheuer. Aus der Geschichte des Dritten Reichs wissen wir: Widerstand kann unter Umständen notwendig sein. Manchmal muss man dem Rad in die Speichen greifen, um Schlimmeres zu verhindern.

Und dennoch gilt: Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. Paulus rät, die Rache nicht selbst in die Hand zu nehmen. Stattdessen soll sie Gott anheimgestellt werden. Wie auch immer man über das Gottesbild, das hier Paulus malt, denken mag, so wird dabei doch zumindest deutlich: Paulus wischt Unrecht nicht weg. Auch die Gefühlswelten von Hass und Rache nimmt er ernst. Er rät jedoch dazu, nicht selbst die Rache in die Hand zu nehmen, sondern das letzte Wort, das letzte Urteil über das Böse Gott zu überlassen. Alles soll man in Gottes Hände legen, nicht nur die Klage und Not, sondern auch das Gericht.

Dahinter steckt das Vertrauen, dass Gott für die Wiederherstellung der Ordnung – also letztlich für Gerechtigkeit – sorgen werde. Wie Gott das tut, darüber hat Paulus in den vielen Zeilen des Briefes zuvor nachgedacht. Allein die Überschrift zum Hauptteil seines Briefes macht deutlich, wie er darüber denkt. Paulus schreibt:

„Ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht alle, die daran glauben.“

Im Mittelpunkt steht hier die Kraft Gottes, als eine Kraft, die heil macht, was zerbrochen ist, die selig macht, alle die daran glauben. Paulus rechnet also mit einem Aspekt, der leicht außer Acht gelassen wird. Paulus rechnet mit Gott, der mit seiner Kraft wirkt und Recht schafft und für den Frieden sorgt, nach dem wir uns sehnen. Wer in dem Feind den Nächsten sieht, der dient Gott, der macht den Dienst Gottes an den Menschen erfahrbar, der bringt Gottes Friede unter die Leute, der trägt dazu bei, dass auch der Feind sich verwandelt, umkehrt, der hilft, dass die Gemeinde Gottes sichtbar wird. Dem Rad in die Speichen zu fallen schließt auch das nicht aus, wie Dietrich Bonhoeffers Lebensweg eindrücklich belegt.

„Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“

Wenn wir Gott vertrauen und wir alles in seine Hände legen, sind wir nicht allein auf weiter Flur. Es kommt auf unser Gottvertrauen an. Dann haben wir einen, der uns bei unsrem Vorhaben mit seiner Kraft stärkt und stützt.


Gebet

 

Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens:
dass ich Liebe übe, wo man sich hasst,
dass ich verbinde, wo Streit ist,
dass ich die Wahrheit sage, wo der Irrtum herrscht,
dass ich den Glauben bringe, wo der Zweifel drückt,
dass ich die Hoffnung wecke, Wo Verzweiflung quält,
dass ich dein Licht anzünde, wo die Finsternis regiert,
dass ich Freude mache, wo der Kummer wohnt.

Ach Herr, lass du mich trachten,
nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste,
nicht dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe,
nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.

Denn wer da hingibt, der empfängt,
wer sich selbst vergisst, der findet,
wer verzeiht, dem wird verziehen,
und wer da stirbt, der erwacht zum ewigen Leben.

Amen.

(Franz von Assisi)


Segensbitte

Es sei der Segen von dem, der unbemerkt dir deinen Rücken stärkt:
der stille, unaufdringliche Quell des Lebens –
von uns Menschen Gott genannt,
von Jesus Christus Vater im Himmel,
uns nahe als guter Lebens-Geist.
Amen.

(Herbert Jung, gekürzt)

 

Autor: Pfarrer Gottfried Kaeppel
  Happurg 05.07.20

 

 

 Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist.

Regenbogen

 

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Entzünden einer Kerze

 

Lied Evang. Gesangbuch 434 – „Schalom chaverim“

 

Schalom chaverim, schalom, chaverim schalom, schalom,
lehitraot, lehitraot, schalom, schalom.

Der Friede des Herrn geleite euch, schalom, schalom.

Der Friede des Herrn geleite euch, schalom, schalom.

 

Eröffnung allein oder im Wechsel

Herr, bleibe bei uns,

                denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneiget.

Gott, gedenke mein nach deiner Gnade.

                Herr, erhöre mich mit deiner treuen Hilfe.

Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste.

                wie im Anfang so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.

Halleluja.

 

Gebet

Ich danken dir, Herr Jesus Christus,
dass du mich heute wieder zurückgerufen hast zu dir,
zur Anbetung vor deinem Angesicht,
zum Lobpreis alles dessen, was du für mich und meine Lieben getan hast.

Herr, räume in mir alles weg, was dem Dank gegen dich widerstrebt,
und lehre mich, mein Leben im Dank für dich und aus Dank zu dir zu leben.

Wehre aller Vergesslichkeit meines Geistes und erinnere mich durch deinen Geist, täglich an dich zu denken. Und dass der Dank immer wieder neu erkennbar werde in meinem Leben, darum bitte ich dich in dieser Stunde. Amen.

(leicht verändert, Karl Hartenstein)

 

Lesung

 

Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt              
und erlässt die Schuld denen, die geblieben sind als Rest seines Erbteils;             
der an seinem Zorn nicht ewig festhält, denn er hat Gefallen an Gnade!

Er wird sich unser wieder erbarmen, unsere Schuld unter die Füße treten           
und alle unsere Sünden in die Tiefen des Meeres werfen.

Du wirst Jakob die Treue halten und Abraham Gnade erweisen,              
wie du unsern Vätern vorzeiten geschworen hast.

Predigt

Liebe Gemeinde!

Mit diesen Worten endet das Buch des Propheten Micha. Nach all den Fehltritten, die in dem Buch aufgezählt werden, nach all den Gerichtsworten und den Rechtsstreitigkeiten zwischen Gott und seinem Volk, nach all der Klage über die Verdorbenheit der Menschen, stimmt das Buch einen Lobpreis an auf Gott. Es lobt die Vergebungsbereitschaft Gottes und rückt die Hoffnung in den Vordergrund, dass Gott nicht für immer an seinem Zorn festhalten wird.

Wir wissen alle, dass die Sache mit der Vergebung ihre Schwierigkeiten hat. Es gibt Situationen im Leben, in denen kann keine Entschuldigung der Welt retten, was verloren ist. Auch nicht, wenn einem nach verrauchtem Ärger klar wird, welches Porzellan man zerschlagen hat, welchen Schaden man angerichtet und man noch so sehr darum bettelt eine neue Chance zu bekommen.

„Du sagst mir, dass du mich brauchst.  
Dann gehst du und machst mich fertig, aber warte         
du sagst mir, dass es dir leid tut
Glaubtest nicht, ich würde mich umdrehn' und sagen...“

“It‘s too late to apologize”.                 (Timbaland feat. OneRepublic)

Es gibt Situationen, in denen jedes Wort dieser Art zu spät über die Lippen kommt, in denen es zu spät ist, sich zu entschuldigen. Wir würden dann sagen: Spar dir deine Worte. Es ist zu spät. Irgendwann hat man mit einer Sache abgeschlossen und möchte das Fass nicht wieder aufmachen, man möchte das Auf und Ab der Gefühle nicht noch einmal durchleben. Allerdings könnte man aber auch anders entscheiden. So ganz endgültig ist die Abwehrhaltung vielleicht doch nicht. Es ist vielleicht nur eine Frage der Zeit und der Umstände.

Es gibt aber Situationen, in denen es äußerst fraglich ist, ob jemals die Möglichkeit besteht, entschuldigt zu werden. Wenn der Angeklagte in einem Mordprozess sein Unrecht eingesteht und sich den Angehörigen des Opfers gegenüber entschuldigt, ist nahezu klar, wie sie reagieren: Sie werden wohl das Anliegen abweisen. Sie werden wohl keine Hand reichen. Jede Geste, jedes Wort, das in Richtung Entschuldigung geht, würde sich wohl falsch anfühlen. Gibt es da überhaupt noch eine Chance auf Vergebung? Wie empfinden wir es, dass die Bereitschaft Gottes, Schuld zu vergeben, auch solche Schuld trifft?

„Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld denen, die übrig geblieben sind von seinem Erbteil; der an seinem Zorn nicht ewig festhält“. (Micha 7,18)

Mit eindrucksvollen Bildern wird in den Schlussworten des Micha-Buches die Vergebungsbereitschaft Gottes vor Augen gestellt: Gott trägt die Sünde weg, geht über Verfehlungen hinweg, tritt sie im wahrsten Sinne des Wortes platt, wirft sie in die Tiefen des Meeres, so dass sie nie mehr auftauchen kann. So anders ist Gott als wir.

Dass Gott diese Bereitschaft dazu hat, ja nicht nur das, sondern dass er es auch tatsächlich tut, zeigt, wie einzigartig Gott ist. Gott ist doch anders als wir Menschen. Wo ist so einer wie er? Da hat das Buch doch recht mit seiner Frage: „Wo ist solch ein Gott, wie du bist, der die Sünde vergibt und erlässt die Schuld“. (Micha 7,18a)

Auch unter den Religionen sticht doch diese Art des biblischen Gottes hervor.

Gott überschreitet Grenzen und tut, was wir Menschen nicht tun können, jedenfalls nicht in jedem Fall. Und begründet wird diese Haltung mit seinem Wesen: Gott ist barmherzig, gütig, treu. Er steht zu dem, was er einst geschworen hat, er hält seinen Bund. Immer wieder wird diese Bundestreue Gottes beschworen in der Bibel. So wird erzählt, dass Gott auch nach dem großen Abfall der Israeliten am Fuße des Bergs Sinai hielt, was er versprach. Als Mose die Gesetzestafel oben empfing, während die Menschen unten um ein goldenes Götzenbild tanzten und Mose dann die Tafeln vor Wut darüber zerbrach, erwies sich Gott letztlich doch als gnädig und fertigte neue Tafeln an. Immer wieder wird erzählt: „Gott ist barmherzig und gnädig und von großer Gnade und Treue, der da Tausenden Gnade bewahrt und vergibt Missetat, Übertretung und Sünde.“ (Exodus 34,6b-7a) Ein „Aber“ klingt jedoch immer noch mit: „Aber ungestraft lässt er niemand...“ (Exodus 34,7b)

Wer von Gottes Gnade spricht, darf den anderen Klang nicht einfach ausblenden. Denn Gott meint es ernst mit seinen Forderungen, die er gegenüber uns Menschen hat. Der Prophet Micha formuliert diese Forderung so: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor dem Gott.“ (Micha 6,8)

Dieser Klang steht aber nicht allein. Daneben erklingen auch die Worte: „Wieder und wieder erbarmt er sich unser.“ (Micha 7,19a) Das ganze Buch Micha ist durchzogen von der Sündengeschichte und von Gottes Zorn aber auch von dem Heilswillen Gottes. Beides klingt ineinander: Gottes Vergebung und der bittere Ernst seiner Forderungen. Gottes Zuspruch und Gottes Anspruch.

Das Buch Micha weiß von der Sündhaftigkeit des Menschen und rechnet zugleich mit Gottes Erbarmen.

„Hab in meinem Leben viel falsch gemacht.“ Mit dieser Selbsterkenntnis blickte ein Senior auf sein Leben zurück. Man spürt das Bedauern, es nicht mehr gut machen zu können. Was war, ist geschehen. Das Gute bleibt bruchstückhaft. Und es wäre eine Illusion, wenn es jemandem gelänge, ein perfektes Leben zu leben, eines ohne Sprünge. Fehler machen irgendwie alle. Es ist nur ehrlich, wenn man so selbst-kritisch auf sein Leben blickt: „Hab in meinem Leben viel falsch gemacht.“

Wir Menschen sind nicht perfekt. Wir sind nur ein unvollkommener Entwurf, ein Fragment, noch eine Skizze dessen, was wir nach Gottes Willen sein werden. All das, was bisher war und ist, ist nur ein unvollkommener Entwurf von dem, was wir sein werden, wenn wir Gott ganz nahe sind. Er hilft uns, unsere Bestimmung zu finden. Das ist ein lebenslanger Prozess. Wir sind auf dem Weg, als Getaufte. Wir sind zwar dadurch gerecht gesprochen und erleben die Vergebung immer wieder neu, aber wir sind noch nicht ganz, wozu wir eigentlich bestimmt sind.

Die Geschichte mit Jesus im Neuen Testament konkretisiert Gottes Erbarmen in besonderer Weise. Wo Jesus auftritt, wird deutlich: Gott fordert nicht nur, er kommt uns selbst entgegen, setzt sich mit Sündern an den Tisch, vergibt und bietet die Chance für Neuanfänge. Gott tut, was der Mensch nicht schaffen kann. Gott nagelt uns nicht fest auf unsre Fehler und Unfertigkeiten. Gott selbst hilft uns Menschen, wieder zu dem zu werden, was wir eigentlich sind, was wir aber so oft verfehlen.

So achtet Gott unser Leben, unsere Freiheit, unsere Geschichte. Und doch fordert er von jedem einzelnen von uns: „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ (Micha 6,8)

Schaffen tun wir das nur mit Gottes Hilfe. Wenn wir uns darauf einlassen, dann kann schon hier erfahrbar werden, wie Gott uns und unsere Welt verwandelt und zu dem bringt, was sie eigentlich ist: Eine Welt voller Geschöpfe, die Gott liebt.


Abendgebet und Segen

Mein Gott,

ein reicher Tag liegt hinter mir,

angefüllt mit Erlebnissen und Erfahrungen,

Schätze und Steine im Acker des Tages.

Ich will noch einmal zurückschauen

mit dir an meiner Seite.

Zeig mir, was ich sehen soll.

Hilf mir, tiefer zu schauen.

Lenke du meinen Blick.

Mein Gott,

was gewesen ist, halte ich dir hin:

Schätze und Steine.

Nimm du sie am Abend dieses Tages.

Segne die Nacht und den kommenden Tag

und lass mich wieder alles von dir erhoffen. Amen.

 (Österreichisches Pastoralinstitut)

Autor: Pfarrer Gottfried Kaeppel
  Happurg 28.06.20

 

 

 Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist.

Regenbogen

 

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Entzünden einer Kerze

 

Lied mit Bläsern vom Fenster 
Evangelisches Gesangbuch Lied 487
    „Abend war, bald kommt die Nacht“

 

Lied stammt von Rudolf Alexander Schröder. Aus rechtlichen Gründen ist Abdruck nicht möglich. Bitte Lied im Gesangbuch zuhause nachschlagen.

 

Eröffnung allein oder im Wechsel

Herr, bleibe bei uns,

                denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneiget.

Gott, gedenke mein nach deiner Gnade.

                Herr, erhöre mich mit deiner treuen Hilfe.

Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste.

                wie im Anfang so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.

Halleluja.

 

Gebet

Christus,
gib, dass ich in jedem Augenblick auf dich schaue.

Oft vergesse ich,

dass ich bewohnt bin von deinem Heiligen Geist,

dass du in mir betest, dass du in mir liebst.

Dein Wunder in mir ist dein Vertrauen

und dein unaufhörlich neu geschenktes Verzeihen. Amen.

(Taizé)

 

Lesung

 

Zu der Zeit fing Jesus an und sprach: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass du dies Weisen und Klugen verborgen hast und hast es Unmündigen offenbart. Ja, Vater; denn so hat es dir wohlgefallen. Alles ist mir übergeben von meinem Vater, und niemand kennt den Sohn als nur der Vater; und niemand kennt den Vater als nur der Sohn und wem es der Sohn offenbaren will. Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir; denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig; so werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen. Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht.

 

Predigt

Liebe Gemeinde,

„Dass ihr mir keinen abweist“ sagte Pfarrer Bodelschwingh seinen Mitarbeitern als er eine Nachbildung von Jesus aufstellen ließ, die Jesu Ruf anschaulich macht: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid. Ich will euch erquicken.“ Die Statue vor den Häusern der karitativen Einrichtungen in Lobetal, deren Gründer Bodelschwingh war, soll an Jesu Offenheit erinnern, der alle Bedürftigen einlädt, aufnimmt und für sie sorgt. Und wer daran vorbeikommt, soll sich ein Beispiel an Jesus nehmen.

„Dass ihr mir keinen abweist“. Dieses Anliegen Bodelschwinghs umzusetzen, ihm gerecht zu werden, das ist nicht leicht. Manchmal stellt es einen vor besondere Herausforderungen. Diese Erfahrung machte ein späterer Leiter jener Lobetaler Anstalten. Es war kurz nach dem die Mauer gefallen war, kurz nach der Wende vor etwa drei Jahrzehnten. Da wandelte sich auch die persönliche Situation von Erich Honecker, dem Parteichef der DDR, der eben noch stolz und selbstbewusst vor seiner vorüberziehenden Paradearmee auftrat, dessen Macht von einem Moment auf den anderen jedoch zerbröckelt war. Aus dem Parteichef war ein alter, kranker Mann geworden, der in Angst vor dem Zorn unterdrückter und misshandelter Menschen floh und nicht recht wusste, wohin er gehen sollte.

Der Pfarrer der Lobetaler Anstalten hat diesen flüchtenden, kranken und obdachlosen Ex-Parteichef in sein Haus aufgenommen. Er tat das, obwohl 8 seiner 10 Kinder trotz guter und bester Noten nicht die erweiterte Oberschule besuchen durfte. Unter dem SED-Regime war es Pfarrerskindern oftmals verboten, eine solche Schule zu besuchen. Ein Unrecht, das den Pfarrer nicht hinderte, Honecker aufzunehmen. Und auch den Protest und die Anfeindung vieler anderer nahm er in Kauf. In einem öffentlichen Brief erinnerte er vielmehr an die besondere Verpflichtung, die wir Christen hätten.

„Dass ihr mir keinen abweist“. Es ist nicht leicht diesem Anliegen immer und in jedem Fall gerecht zu werden. Es kann auch eine Last sein, die schwer ist. Pfarrer Holmer war bereit, diese Last zu tragen trotz des Unrechts, das er erfahren hatte. Hätten wir ebenso gehandelt?

„Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken. Nehmt auf euch mein Joch und lernt von mir.“ So sagt Jesus. Pfarrer Bodelschwingh, Pfarrer Holmer und viele andere haben diesen Ruf Jesu ernst genommen. Sie haben erlebt, dass es da nicht um ein lockeres und sorgenfreies Leben geht. Sie haben erlebt, dass der, der Jesu Ruf ernst nimmt, auch Lasten trägt. Was ermutigte Holmer die Last so bereitwillig zu tragen? Vielleicht war es die Perspektive, die er vor Augen hatte. Wollte er doch mit seinem Handeln Mut machen für neues Denken und neues Handeln, für ein anderes Handeln als es die Menschen unter dem SED-Regime erlebt hatten. Vielleicht war es auch die tiefe Verbindung mit Jesus, aus der er Kraft schöpfte. Schließlich ermutigte Jesu Ruf dem Pfarrer trotz des Unrechts an seinen Kindern, andere Wege zu gehen.

„So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen“ verheißt Jesus denen, die seinem Ruf folgen. Was das bedeutet, sehen wir beispielhaft an den Ereignissen in Lobetal. Statt dem Hass und der Wut Raum zugeben, war Pfarrer Holmer bereit, zu vergeben: „Wir haben jedoch darüber keine Bitterkeit in unserem Herzen, da wir in der Nachfolge unsres Herrn wirklich vergeben haben“. So erlebte Holmer, dass Jesu Ruf nicht nur eine Last mit sich bringt, sondern alte Wunden auch lindert.

„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ Nicht jeder ist bereit, dem Ruf Jesu zu folgen. Mancher hat noch gar nicht erkannt, welche Chance in jenem Ruf steckt. Wie gut, dass der Ruf Jesu noch nicht verstummt ist und noch viele die Möglichkeit haben, zu entdecken, was dahintersteckt.

„Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.“ Ein Ruf, der wohltuend klingt. Ich frage mich allerdings, weshalb der Ruf Jesu sich nur auf alle die bezieht, die mühselig und beladen sind. Weshalb diese Einschränkung? Sollte der Ruf nicht auch alle anderen ansprechen? Oder sind nur die Mühseligen und Beladenen besonders empfänglich für Jesu Ruf, weil nur die, die ganz am Boden liegen, wirklich erkennen, was sie davon haben? Ganz abwegig ist der Gedanke ja nicht, dass der, der unten ist, sich keine Illusionen mehr macht, über alles Bescheid zu wissen. Wer unten ist, kommt zum Nachdenken und Zweifeln. Er ist womöglich auch empfänglicher als der, der oben auf der Welle des Erfolgs schwimmt. Wie sehr uns Täler zum Nachsinnen anregen, erleben wir derzeit selbst hautnah. Insofern steckt in unsrer Situation auch eine Chance, die Sache mit Gott und Jesus noch einmal neu zu bedenken.

Unmittelbar vor dem Heilandsruf wird im Matthäusevangelium die Ablehnung von Jesu Sendung genannt. Menschen haben Jesu Ruf gehört, aber abgelehnt. Nicht alle haben erkannt, welche Bedeutung Jesus für sie hat. Während die einen es erkennen, bleibt anderen der Blick dafür verschlossen. Dass Menschen erkennen, wer Jesus ist und welche Bedeutung er für ihr Leben spielt, wird im Evangelium jedoch als Gabe Gottes verstanden, als eine Erkenntnis, die Gott ins Herz legt. Diese Spur mag uns daran erinnern, dass wir bei all unseren klugen Gedanken über Gott und unser Leben immer angewiesen sind auf die Kraft eines anderen: auf die Kraft des Heiligen Geistes, der unseren Glauben belebt, nährt und stärkt. Bei allem Nachsinnen und Schürfen bedürfen wir also unbedingt des Gebets. Darum predigen wir nicht nur in jedem Gottesdienst, sondern beten auch und legen uns so – neben allen klugen Gedanken – immer wieder neu in Gottes Hände.

Und wir dürfen bei jedem Gebet wissen: Gott weist uns nicht ab. Er hat immer ein offenes Ohr für uns.

Luthers Abendsegen Evangelisches Gesangbuch, S. 1447

Ich danke dir, mein himmlischer Vater,
durch Jesus Christus, deinen lieben Sohn,
dass du mich diesen Tag gnädiglich behütet hast

und bitte dich, du wollest mir vergeben alle meine Sünde,
wo ich Unrecht getan habe,
und mich diese Nacht gnädiglich behüten.

Denn ich befehle mich, meinen Leib und Seele
und alles in deine Hände.
Dein heiliger Engel sei mit mir,
dass der böse Feind keine Macht an mir finde.

Amen.

 

Autor: Pfarrer Gottfried Kaeppel
  Happurg 21.06.20

 

 

 Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist.

Orgel

 

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Entzünden einer Kerze

 

Lied mit Bläsern vom Fenster


in Happurg: Evangelisches Gesangbuch Lied 165
Gott ist gegenwärtig

1.   Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten und in Ehrfurcht vor ihn treten. Gott ist in der Mitte. Alles in uns schweige und sich innigst vor ihm beuge. Wer ihn kennt, wer ihn nennt, schlag die Augen nieder; kommt, ergebt euch wieder.

2.   Gott ist gegenwärtig, dem die Cherubinen Tag und Nacht gebücket dienen. Heilig, heilig, heilig! singen ihm zur Ehre aller Engel hohe Chöre. Herr, vernimm unsre Stimm, da auch wir Geringen unsre Opfer bringen.

3.   Herr, komm in mir wohnen, lass mein Geist auf Erden dir ein Heiligtum noch werden; komm, du nahes Wesen, dich in mir verkläre, dass ich dich stets lieb und ehre. Wo ich geh, sitz und steh, lass mich dich erblicken und vor dir mich bücken.

 

in Kainsbach: Evangelisches Gesangbuch Lied 479
Der lieben Sonne Licht und Pracht


 

1.  Der lieben Sonne Licht und Pracht hat nun den Tag vollführet, die Welt hat sich zur Ruh gemacht; tu, Seel, was dir gebühret, tritt an die Himmelstür und bring ein Lied herfür; lass deine Augen, Herz und Sinn auf Jesum sein gerichtet hin!

2.  Ihr hellen Sterne leuchtet wohl und gebet eure Strahlen, ihr macht die Nacht des Lichtes voll; doch noch zu tausend Malen scheint heller in mein Herz die ewig Himmelskerz, mein Jesus, meiner Seele Ruhm, mein Schatz, mein Schutz, mein Eigentum.

3.  Mit Dir will ich zu Bette gehn, Dir will ich mich befehlen; Du wirst, mein Schutzherr, auf mich sehn zum Besten meiner Seelen. Ich fürchte keine Not, auch selber nicht den Tod; denn wer mit Jesus schlafen geht, mit Freuden wieder aufersteht.

 

Eröffnung und Psalm 34 allein oder im Wechsel

Im Namen Gottes des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Ich will den Herrn loben allezeit;
sein Lob soll immerdar in meinem Munde sein.

Meine Seele soll sich rühmen des Herrn,
dass es die Elenden hören und sich freuen.

Preiset mit mir den Herrn
und lasst uns miteinander seinen Namen erhöhen!

Da ich den Herrn suchte, antwortete er mir
und errettete mich aus aller meiner Furcht.

Da auf ihn sehen, werden strahlen vor Freude,
und ihr Angesicht wird nicht beschämt.

Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist

wie im Anfang so auch jetzt und allezeit und in Ewigkeit. Amen.

Predigt

Gott suchen, das ist kein leichtes Unterfangen. Schon viele Menschen haben sich aufgemacht, um Gott zu suchen. Manche sind dafür sogar schon weite Wege gelaufen, wochenlang zu Fuß bis Santiago de Compostela, und haben dabei auch die Erfahrung gemacht, dass die Suche nach Gott zugleich auch eine Suche nach sich selbst sein kann. Die Pilgerreise ist aber nicht die einzige Art, wie Menschen nach Gott suchen.

Einige beschäftigen sich auch intensiv mit Theologie und Philosophie, grübeln, suchen, fragen, allein oder miteinander im Gespräch. Wie diese, so hat auch Thomas Gottschalk sich auf die Suche nach Gott gemacht und seinen Glauben hinterfragt, obwohl er ihn immer als ein hilfreiches Moment in seinem Leben erlebt hatte. Er berichtet davon in seiner Autobiografie. Bei seiner Gottsuche machte Gottschalk eine Beobachtung, die er in folgende Worte fasst: „So viele schlaue Menschen, alle klüger als ich, haben viele Stunden ihres Lebens damit verbracht, nach Gott zu suchen, haben vermutet, hochgerechnet und gehofft, aber im Grunde nichts gefunden.“

Ist das nicht ernüchternd?, was Gottschalk hier feststellt. Lohnt es sich angesichts solcher Aussicht überhaupt, sich auf dieses Unterfangen einzulassen? Der Bibel nach schon. „Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen“, heißt es dort. Aber wie soll das gelingen, wenn doch schon so viele Menschen scheiterten? Der Evangelist Johannes macht uns in seinem Predigttext Hoffnung, dass es doch nicht so aussichtslos ist, wie es scheint. Er schildert eine Begegnung zwischen Nikodemus und Jesus. Hört selbst, was der Evangelist schreibt:

Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern mit Namen Nikodemus, ein Oberster der Juden. Der kam zu Jesus bei Nacht und sprach zu ihm: Rabbi, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen; denn niemand kann die Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht von Neuem geboren wird, so kann er das Reich Gottes nicht sehen. Nikodemus spricht zu ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er denn wieder in seiner Mutter Leib gehen und geboren werden? Jesus antwortete: Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn jemand nicht geboren wird aus Wasser und Geist, so kann er nicht in das Reich Gottes kommen. Was aus dem Fleisch geboren ist, das ist Fleisch; und was aus dem Geist geboren ist, das ist Geist. Wundere dich nicht, dass ich dir gesagt habe: Ihr müsst von Neuem geboren werden. Der Wind bläst, wo er will, und du hörst sein Sausen wohl; aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er fährt. So ist ein jeder, der aus dem Geist geboren ist. Nikodemus antwortete und sprach zu ihm: Wie mag das zugehen? Jesus antwortete und sprach zu ihm: Du bist Israels Lehrer und weißt das nicht? Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben, und ihr nehmt unser Zeugnis nicht an. Glaubt ihr nicht, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie werdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sage? Und niemand ist gen Himmel aufgefahren außer dem, der vom Himmel herabgekommen ist, nämlich der Menschensohn. Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, auf dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.                                     (Johannes 3,1-15)

Die nächtliche Szene dieses Gesprächs lässt ahnen, dass auch Nikodemus ein Gottsucher ist, der im Dunkeln tappt und nicht recht vorwärtskommt. Wie verzweifelt muss er wohl gewesen sein, wenn er sich noch mitten in der Nacht aufmachte, um Jesus zu treffen. Drängende und brennende Fragen müssen ihn bewegt haben. Als er jedoch vor Jesus steht, bringt er keine Frage über die Lippen. Stattdessen beginnt er ziemlich hölzern mit einem „Wir wissen“ und verschanzt sich hinter dem Gebäude seines Gelehrtenstandes. „Wir wissen, dass du als ein Lehrer von Gott gekommen bist.“ Und Jesus gibt daraufhin eine Antwort auf eine Frage, die zuvor gar nicht gestellt worden ist.

Was will Nikodemus? Was will Jesus? Beide reden völlig aneinander vorbei. Und erst nach und nach hat man den Anschein, als würde Jesus gleichsam wie eine Hebamme fungieren und Nikodemus helfen, überhaupt die rechte Frage zu finden auf eine Antwort, die er längst schon gegeben hat: „Amen, amen ich sage dir, wenn jemand nicht von neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“

Man merkt regelrecht, wie sich in Nikodemus Kopf die Fragen stapeln. Neu geboren werden? Wie soll das gehen? Wie soll ich mir das vorstellen? Wie kann ein Mensch geboren werden, der schon ein alter Greis ist? Kann einer ein zweites Mal in den Leib seiner Mutter eintreten und neu geboren werden? Das ist doch wohl ausgeschlossen. Das geht nicht. Nikodemus gerät mit seinem Denken sichtlich an Grenzen und verstummt schließlich.

Diese Szene stellt beispielhaft dar, was das Grundproblem vieler Grübelein über Gott ist: Unser Denken und Reden ist gebunden an das, was wir an Sinneseindrücken verarbeiten, erkennen, deuten und in Sprache bringen. Wir Menschen kommen mit unserem Denken über irdische Maßstäbe nicht hinaus. Und wo wir darüber hinauszukommen versuchen, entzieht sich unser Denken der Überprüfbarkeit, wird zur puren Behauptung, macht den Anschein einer Illusion. Angesichts dieser Begrenztheit unseres Denkens und Redens ist es kein Wunder, dass man sich dabei im Grunde immer und immer wieder nur im Kreis dreht und wir über uns selbst nicht hinauskommen.

Wie soll man da von Gott reden können? Es ist doch ganz offensichtlich ein unmögliches Unterfangen. So unmöglich, dass man Gott argumentativ weder beweisen noch widerlegen kann. Wer angesichts dieser Unmöglichkeit dennoch an Gott glaubt, der kann letztlich nur wie Thomas Gottschalk von ihm sagen: „Der mich hoffentlich versteht und den ich nie verstehen werde.“

Wir verstehen Gott nicht. Und trotzdem reden wir von ihm, feiern Gottesdienst hier in der St. Georgskirche und in vielen anderen Kirchen. Wir reden von Gott mit unseren menschlichen Worten. Wie ist das möglich? Möglich ist das nur, weil Gott sich selbst zu erkennen gibt, weil er selbst Mensch geworden ist in Jesus Christus, weil Gott selbst die Kluft überwindet, die zwischen uns und ihm ist. Nur deswegen sind wir überhaupt fähig von ihm zu reden. Und dennoch, obwohl Gott so konkret Mensch wurde und sich uns offenbart hat, bleibt er uns fremd, bleibt er ein Geheimnis. „Der Geist weht wo er will und du hörst sein sausen wohl, aber du weißt nicht, von wo er kommt und wohin er geht.“ So unfassbar ist Gott.

Und wenn wir überhaupt etwas von Gott begreifen, dann geschieht das Begreifen von Gott aus den Glaubenserfahrungen heraus. Und so wie der Glaube ein Prozess, ein Werden ist, so wie das Frommsein ein Werden ist, so ist im Grunde eben auch das Verstehen von Gott ein Werden. Aus dem Trockenen, ohne Glauben, gleichsam im Vorgriff, wie Nikodemus es versucht, ist das Verstehen überhaupt nicht möglich. Jesus lässt sich nicht wie ein Wissen fassen, sein Zeugnis lässt sich nicht wie eine Bedienungs-anleitung zur Lebenskunst vermitteln, wo man das und das tun muss, damit alles passt. Jesus fordert dagegen zum Wagnis heraus. Nikodemus soll hinter seinem Gedankengebäude hervorkommen und sich wirklich auf Gottes Geist einlassen und das wagen trotz aller Unwägbarkeiten.

„Amen, amen ich sage dir, wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“ Als Jesus das gesagt hatte, sind die Runzeln auf Nikodemus Stirn noch immer nicht verschwunden. Noch immer ringt er ums Verstehen und formuliert seine letzte Frage. Wie soll das geschehen? Die Antwort ist für uns heute leicht. Durch die Taufe. Aber warum muss ich überhaupt neu geboren werden aus Wasser und Geist? Warum muss ich getauft sein?

Der Dichter Paul Gerhardt gibt uns in einem Osterlied folgende Antwort: „Ich hang und bleib auch hangen an Christus als ein Glied. Wo sein Haupt durch ist gangen, da nimmt er mich auch mit.“ Weil es so tröstlich ist, braucht es die Taufe. Weil nur so die Misere, die uns von Gott trennt, überwunden werden kann. Denn da, wo Christus hingeht, nimmt er mich auch mit, immer, unverbrüchlich gilt das. Er zieht mich aus der Dunkelheit ins Licht, aus dem Zweifel in die Gewissheit, vom Tod ins Leben. Ich bin getauft. Paul Gerhardt hat sich das mit seinem Liedvers bewusst gemacht, vielleicht auch immer wieder selbst zugesungen, damit er es auch im größten Zweifel, in der größten Finsternis nicht vergisst: „Ich hang und bleib auch hangen an Christus als ein Glied. Wo sein Haupt durch ist gangen, da nimmt er mich auch mit.“

Ob Nikodemus den Trost diese Neugeburt erleben konnte, wissen wir nicht. Allerdings hat die Sache mit Jesus ihn nicht mehr losgelassen. Das nächtliche Gespräch hat etwas in ihm ausgelöst. Später, als Jesus vor den Hohen Rat gestellt wird, tritt Nikodemus als vorsichtiger Verteidiger auf und auch bei seiner Grablegung ist er dabei. 100 Pfund Myrrhe gemischt mit Aloe stiftet er für die Einbalsamierung Jesu. Das wirkt wie ein spätes öffentliches Bekenntnis. Und so hat er wohl erst nach Jesu Tod am Kreuz wirklich verstanden, was Jesus gesagt hatte.

Gebet

Ich bete für die Unterdrückten und Benachteiligten in unsrer Welt und bitte:
Hilf uns allen zu einem guten Miteinander.

Gütiger Gott erhöre mich.

Ich bete zu dir, dass sichtbare und unsichtbare Mauern fallen, die Menschen voneinander trennen:
Gütiger Gott, erhöre mich.

Ich bete zu dir für unsere Familie aber auch für meine Freunde und Nachbarn:
Gütiger Gott, erhöre mich.

Ich bete zu dir für alle jene, die von Sorgen gequält werden oder von Trauer um einen lieben Menschen belastet sind. Steh ihnen bei.
Gütiger Gott, erhöre mich.

Dein Reich komme, Vater im Himmel,
damit wir in Freude deinen Sohn schauen,
Jesus Christus, unseren einzigen Mittler und Heiland.
Dir sei Ehre in Ewigkeit.

Amen.

Segensbitte

Gott, erfülle mich an diesem Abend mit Dankbarkeit...

für schöne Momente unter dem freien Himmel
für gute Worte und Begegnungen

für ...

Hab Dank für alles und lass mich auch dem kommenden Tag mit Dank begegnen, der ich um deinen Segen bitte.
So schenke mir und allen meinen Lieben eine ruhige Nacht.
Amen.


 

Autor: Pfarrer Gottfried Kaeppel
  Happurg 14.06.20